Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet
Haftung des gerichtlichen ärztlichen Sachverständigen im Verfahren:
Bürgerliches Gesetzbuch
- 839a Haftung des gerichtlichen Sachverständigen
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
- 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung (3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Die Haftung für ein falsches gerichtliches Gutachten richtet sich ausschließlich nach § 839a BGB. Die Norm begrenzt die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen auf grobe Fahrlässigkeit.
Voraussetzungen der Haftung:
- ein falsches Gutachten ( das Gutachten beruht auf einer unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachengrundlage oder stützt sich auf veraltete wissenschaftliche Erkenntnisse).
- das falsche Gutachten muss auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des gerichtlichen Sachverständigen beruhen. Die grobe Fahrlässigkeit kann nur angenommen werden, wenn der Sachverständige die erforderliche Sorgfalt bei der Erstellung des Gutachtens in besonders schwerem Maße verletzt, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und dasjenige nicht berücksichtigt, was jedem einleuchten muss.
- das falsche Gutachten muss zu einer gerichtlichen Entscheidung (Urteil, Beschluss, Verfügung) geführt haben, die einen Schaden (Abweisung der Klageforderung) verursacht hat.
- gemäß § 839a Abs. 2 BGB i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB ist die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen ausgeschlossen, wenn der Geschädigte es schuldhaft unterlässt den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels gegen die gerichtliche Entscheidung abzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann das Gericht in Arzthaftungsprozessen bei der Beurteilung der zentralen Frage, ob das streitgegenständliche Handeln nicht dem medizinischen Standard entsprach und eventuell behandlungsfehlerhaft war, auf den medizinischen Sachverständigen nicht verzichten.
- Welche Rolle spielt ein Sachverständiger im Arzthaftungsprozess?
Der ärztliche Sachverständige ist bei der Beurteilung medizinischer Sachverhalte in gerichtlichen Verfahren unverzichtbar und beeinflusst den Ausgang des Verfahrens enorm.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann das Gericht in Arzthaftungsprozessen bei der Beurteilung der zentralen Frage, ob das streitgegenständliche Handeln nicht dem medizinischen Standard entsprach und eventuell behandlungsfehlerhaft war, auf den medizinischen Sachverständigen nicht verzichten. Das Gericht bleibt aber zur kritischen Überprüfung des Sachverständigengutachtens verpflichtet. Eine Abweichung vom ärztlichen Sachverständigengutachten ist für das Gericht nur möglich, wenn es seine abweichende Meinung ausführlich begründet und dabei deutlich macht, dass seine abweichende Beurteilung nicht von der zwangsläufig beim Gericht vorhandenen mangelnden Sachkunde beeinflusst ist.
In vielen Verfahren entsteht trotzdem der Eindruck, dass das Verfahren eigentlich vom ärztlichen Sachverständigen entschieden wird und der Sachverständige zum „Richter in Weiß” wird.
- Pflichten und Rechte des ärztlichen Sachverständigen im Verfahren:
Den ärztlichen Sachverständigen treffen als gerichtlich bestellten Gutachter verschiedene Pflichten, die teilweise in §§ 402 ff. ZPO, insbesondere in § 407a ZPO, ausdrücklich normiert sind.
- Pflicht zur Gutachtenerstattung
Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige ist gemäß § 407 ZPO zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet, wenn kein Gutachtenverweigerungsgrund nach § 408 ZPO vorliegt.
- Pflicht zur persönlichen Erstattung des Gutachtens
Nach § 407a II Satz 1 ZPO ist ein Sachverständiger nicht befugt, den vom Gericht erteilten Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Er ist zwar berechtigt, sich zur Erledigung des Gutachtenauftrages anderer Personen zu bedienen (§ 407a II 2 ZPO). Die Grenze der erlaubten Mitarbeit - mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens – sind jedoch überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert. Bei psychiatrischen Gutachten muss der Gutachter die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen (BSG, Urteil vom 05.05.09, AZ.: B 13 R 535/08 B). Eine fehlende Information über den Umfang der Mitarbeit des anderen Arztes führt dann zur Unverwertbarkeit, wenn dadurch dem Beteiligten die Möglichkeit genommen wurde, die Grenzen der erlaubten Mitarbeit zu überprüfen ( BSG, Urteil vom 30.01.06, AZ.. B 2 U 358/05 B).
- Pflicht zur rechtzeitigen Gutachtenerstattung
Den Sachverständigen kann die Pflicht treffen, das Gutachten fristgerecht vorzulegen, wenn das Gericht bereits mit dem Gutachtenauftrag eine Frist zur Vorlage des Gutachtens nach § 411 Abs. 1 S. 2 ZPO bestimmt. Von dieser Möglichkeit machen die Gerichte allerdings bei der Beauftragung fast keinen Gebrauch. Eine Fristsetzung erfolgt erst dann, wenn die Gutachtenerstellung auf sich warten lässt und von den Parteien angemahnt wird. Ist eine Frist zur Erstellung des Gutachtens gesetzt und wird diese nicht eingehalten, kann das Gericht unter Androhung eines Ordnungsgeldes eine Nachfrist setzen (§ 411 Abs. 2 S. 2 ZPO) und nach Ablauf der Frist ein Ordnungsgeld festsetzen (§ 411 Abs. 2 S. 1 ZPO). Wird das Gutachten immer noch nicht vorgelegt, kann es auch zur wiederholten Festsetzung eines Ordnungsgeldes kommen (§ 411 Abs. 2 S. 3 ZPO).
- Vergütung des Sachverständigen:
Die Vergütung des Sachverständigen richtet sich gemäß § 413 ZPO nach dem Justizvergütungs- und -enschädigungsgesetz (JVEG).
Ein Anspruch auf eine höhere Vergütung bedarf der Zustimmung der Parteien (OVG Berlin Jur. Büro 2001, 485).
- Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit:
Ärztliche Sachverständige können unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden ( § 406 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 41, 42 ZPO).
Befangenheit wurde z.B. in folgenden Fällen bejaht:
- Sachverständiger als „Hausarzt” einer Partei
- Streitigen Sachvortrag einer Partei als zutreffend unterstellen
- Geschehensablauf als praktisch ausgeschlossen behandeln, obwohl das Gericht dem Sachverständigen aufgegeben hatte, diesen Geschehensablauf zu berücksichtigen
- Bezeichnung des Patienten als „Säufer”
- Wissenschaftliche Zusammenarbeit des Sachverständigen mit einer Partei
- Beteiligung des Sachverständigen an einem anderen von einer Partei geführten Prozess.
- Die Befangenheit des ärztlichen Sachverständigen wurde z.B. verneint:
- Schlechte Qualität des Gutachtens
- Nichtberücksichtigung der Behandlungsunterlagen aufgrund eines Versehens
Wurde der Sachverständige nach Erstattung des Gutachtens erfolgreich abgelehnt, wird das Gericht verpflichtet sein, ein neues Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen (§ 412 Abs. 2 ZPO).
- Fragen an den Sachverständigen:
Die vom Gutachter zu beantworteten Fragen ergeben sich aus dem Inhalt des gerichtlichen Beweisbeschlusses.
Der Beweisbeschluss wird unter Berücksichtigung der Fragen der Parteien vom Gericht verfasst.
Bei der Fragestellung geht es in der Regel um zwei unterschiedliche Fragenkomplexe :
- Haftungsvoraussetzungen (= Bewertung der streitgegenständlichen Behandlung als behandlungsfehlerhaft) und
- medizinische Vorfragen für die Beantwortung von Rechtsfragen
- Überprüfung des Gutachtens im Verfahren:
Bei Zweifeln am Gutachten des Sachverständigen kann die betroffene Partei auf eine ergänzende oder neue Begutachtung gemäß § 412 Abs. 1 ZPO drängen und die mündliche Erörterung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 ZPO beantragen. Das ist aber nicht einfach und setzt Widersprüche im Gutachten bzw. Widersprüchen zwischen dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen und Privatgutachten voraus. Allein der Widerspruch zwischen dem Sachverständigengutachten und dem Privatgutachten erfordert allerdings nicht zwingend die Einholung eines weiteren Gutachtens.
- Leitlinien ärztlicher Fachgremien versus Sachverständigengutachten?
Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten.