OLG Dresden, Beschluss vom 18.12.2009, AZ.: 4 W 1282/09
Arzthaftungsprozess: Sachverständigenablehnung wegen der Beantwortung von über den Beweisbeschluss hinausgehenden Fragen, Ablehnungsfrist des § 406 Abs. 2 ZPO
Das Problem:
Ärztliche Sachverständige können unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 41, 42 ZPO). Das ist u .a. dann der Fall, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Ist ein solcher Grund gegeben, wenn der Sachverständige über die Fragen im Beweisbeschluss hinausgeht oder den Vortrag einer Partei als „haltlos“ bezeichnet? Wie verhält es mit der Ablehnungsfrist für einen Befangenheitsantrag, der zwar innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist jedoch außerhalb der Frist nach § 406 Abs. 2 ZPO eingereicht wird, OLG Dresden, Beschluss vom 18.12.2009, AZ.: 4 W 1282/09?
Der Fall:
Der Kläger begehrt von den Beklagten beim LG Leipzig, Az: 6 O 1737/08 materiellen und immateriellen Schadenersatz sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden wegen unzureichender Aufklärung und fehlerhafter Behandlung nach einer Knieoperation. Das Landgericht hat die Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens zu Behandlungsfehlern, nicht aber zu Aufklärungsmangel angeordnet. Das Gutachten ist dem Kläger zugestellt worden mit der Anordnung innerhalb der 3 wöchigen Frist evtl. Einwendungen gegen das Gutachten geltend zu machen. Innerhalb dieser Frist jedoch außerhalb der Frist nach § 406 Abs. 2 ZPO hat der Kläger beantragt, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen mit der Begründung, aus der Bewertung des Sachverständigen, die vom Kläger behauptete Verkennung eines Morbus Sudeck sei "haltlos", ergebe sich das stimmige Gesamtbild einer einseitig den Kläger benachteiligenden Begutachtung. Darüber hinaus habe sich der Sachverständige zur Frage der Aufklärung geäußert, ohne hierzu durch das Gericht gefragt worden zu sein. Das Landgericht hat den Ablehnungsantrag als unbegründet abgewiesen.
Gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts hat der Kläger sofortige Beschwerde gem. §§ 406 Abs. 5, 567ff. ZPO eingelegt.
Entscheidung des OLG Dresden:
Zur Zulässigkeit des Ablehnungsantrages
Der Ablehnungsantrag ist nach Auffassung des OLG Dresden zulässig, insbesondere ist er nicht verspätet. "Ein Ablehnungsgesuch ist zwar nach § 406 Abs. 2 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung eines Sachverständigen zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Ergeben sich die Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, aus dessen Gutachten, ist die Frist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO maßgebend. Ein Befangenheitsantrag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten oder verlängerten Frist eingereicht wird, ist immer dann als rechtzeitig anzusehen, wenn sich die Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten ergibt. Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müssen sich nämlich innerhalb dieser Frist abschließend mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen und mitteilen, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten Ergänzungsbedarf gesehen wird. Kommt hierbei eine Partei aufgrund der inhaltlichen Prüfung des Gutachtens nicht nur zu dem Ergebnis, dass dieses unrichtig oder ergänzungsbedürftig ist, sondern dass bestimmte Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf Voreingenommenheit ihr gegenüber zurückzuführen sind, ist auch diese Besorgnis Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten. Hieraus folgt, dass der Antragsteller nicht verpflichtet ist, binnen kürzerer Frist eine Vorprüfung des Gutachtens vorzunehmen, nur um feststellen zu können, ob das Gutachten Mängel enthält, die aus seiner Sicht nicht nur einen Ergänzungsantrag nötig machen, sondern sogar die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen".
Zur Begründetheit des Ablehnungsantrages
Der Ablehnungsantrag hält das OLG jedoch für unbegründet.
Nach der Auffassung des Senats liegt in der Bezeichnung des klägerischen Vortrages durch den Sachverständigen als „haltlos“ keine unsachliche, den Kläger verunglimpfende oder diffamierende Äußerung, sondern eine abschließende Bewertung des Sachverständigen nach einer Auseinandersetzung mit den fünf Behauptungen des Klägers aus dem Beweisbeschluss. Dies entspreche dem allgemeinen Sprachgebrauch, nach dem "haltlos" u.a. auch für problematisch, zweifelhaft, unbestätigt, nicht fundiert oder ungesichert stehe. Dazu verweist der Senat auf Angaben auf www.synonyme.woxikon.de.
"Die Besorgnis der Befangenheit kann auch nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen gefolgert werden, in denen er sich - ohne hiernach im Beweisbeschluss gefragt worden zu sein - den Rechtsausführungen des Landgerichts zur Frage einer ausreichenden Aufklärung anschließt und insoweit über die Fragen des Beweisbeschlusses hinausgeht. Die vom Gutachter zu beantworteten Fragen ergeben sich aus dem Inhalt des gerichtlichen Beweisbeschlusses. Zwar kann es einen Befangenheitsgrund darstellen, wenn ein Sachverständiger vom Beweisbeschluss abweicht oder eigene Ermittlungen anstellt, die ihm durch den Beweisbeschluss nicht aufgegeben waren. Ein Sachverständiger hat sich danach grundsätzlich jeder Äußerung zu etwaigen Aufklärungspflichten zu enthalten, wenn der Kläger im Arzthaftungsprozess seine Klage nicht auf die Verletzung von Aufklärungspflichten stützt und auch die dem Sachverständigen im Beweisbeschluss unterbreiteten Fragen ausschließlich Behandlungsfehler. Wird die Klage aber - wie hier - sowohl auf Behandlungsfehler als auch auf die Verletzung von Aufklärungspflichten gestützt, gilt dieser Grundsatz nicht".
Bewertung:
Der Entscheidung des Senats zur Frage der Befugnis des Sachverständigen für die Beantwortung der Frage der Aufklärung ist im Ergebnis jedoch nicht in der Begründung zuzustimmen.
Der Sachverständige war zwar – entgegen der Auffassung des Senats- nicht befugt gewesen, sich mit der Frage der Aufklärung auseinanderzusetzen, da diese Frage nicht der Begutachtungsgegenstand war. Der Kläger hat jedoch einen Ausklärungsmangel im Prozess selbst behauptet. Somit war sein diesbezüglicher Einwand missbräuchlich und daher unbeachtlich.
Zuzustimmen ist der Auffassung des Senats, dass die Bezeichnung des Vortrages des Klägers als „haltlos“ in Grenzen der Sachlichkeit liege. Eine Berufsordnung für Sachverständige existiert nicht. Nach § 7 VI (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997) haben Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten gebührende Aufmerksamkeit entgegen zu bringen und mit Patientenkritik und Meinungsverschiedenheiten sachlich und korrekt umzugehen. Der Begriff "sachlich" ist nicht weiter definiert. Laut Definition des § 43 III BRAO bedeutet unsachlich insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich u. a. um solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Das BVerfG hat sich zur Äußerungen eines Rechtsanwaltes folgendes festgestellt:
Mit Blick auf die Berufsfreiheit können herabsetzende Äußerungen, die ein Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, nur dann Anlass für berufsrechtliche Maßnahmen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten. … Darüber hinaus ist das Sachlichkeitsgebot dann verletzt, wenn ein Rechtsanwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Eine herabsetzende Äußerung nimmt dann den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person, die gleichsam an den Pranger gestellt wird, bestehen, BVerfG, 15.04.2008, AZ.: 1 BvR 1793/07.
Diese Grundsätze können nur nur bedingt und allenfalls als Mindestmaß auf die medizinischen Sachverständigen übertragen werden. Denn die Erstellung von Gutachten erfordert vom Arzt einen Rollenwechsel vom Behandler eines Patienten zum medizinischen Berater des Gerichts. Diese Rolle unterscheidet sich von der eines Rechtsanwaltes dadurch, dass der Sachverständige keine Partei vertritt und daher in den Rechtsstreit nicht involviert ist. Umso weniger erwarten die Beteiligen von ihm eine subjektive Bewertung bzgl. ihrer Auffassungen.
Gemessen an o.g. Grundsätze erfolgte die streitige Formulierung des Sachverständigen (noch) im Rahmen der Auseinandersetzung in der Sache und nicht personenbezogen und liegt somit in Grenzen der Sachlichkeit.
Eine Befangenheit des Sachverständigen wurde z.B. bei Bezeichnung des Patienten als „Säufer” bejaht.
Dennoch ist für medizinische Sachverständige Vorsicht bei Äußerungen im Gutachten geboten. Die subjektiven Bewertungen sind überflüssig und zu vermeiden. Ein Sachverständiger, der erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, kann auch seinen Anspruch auf Entschädigung verlieren, wenn er die Ablehnung vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, BGH, 15.12.1975, AZ.: X ZR 52/73. Wird der Sachverständige nach Erstattung des Gutachtens erfolgreich abgelehnt, wird das Gericht verpflichtet sein, ein neues Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen (§ 412 Abs. 2 ZPO).
Die Frage, ob ein Befangenheitsantrag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten oder verlängerten Frist eingereicht wird, noch rechtzeitig i.S.d. § 406 Abs. 2 ZPO gestellt wird, war bis zu Entscheidung des BGH im Jahre 2005 (NJW 2005, 1869) umstritten, dürfte aber seitdem geklärt sein.