Arzthaftung: beweisrechtliche Folgen eines knappen Operationsberichts

Wer kennt nicht das Problem: die Behandlungsdokumentation ist knapp und gibt über den Behandlungsverlauf nicht viel her. Der Arzt behauptet, er kann sich zwar nicht mehr an die konkrete Behandlung erinnern, wäre es aber etwas Außergewöhnliches  passiert, hätte er den Umstand in der Behandlungsdokumentation erwähnt. 

Einen solchen Fall hatte auch das OLG Koblenz zu entscheiden, Hinweisbeschluss vom 27.09.2011, Aktenzeichen: 5 U 273/11.

Der Fall:

Der Kläger nimmt die Klinik (Erstbeklagte) und den dort tätigen Arzt (Zweitbeklagten) auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 25.000 € sowie 980,90 € materielles Schadensersatzes in Anspruch. Der Kläger wurde wegen Rektumkarzinom durch den Zweitbeklagten operiert. Dabei kam es zu versehentlicher Durchtrennung eines Portschlauchs. Im (recht kurzen) Operationsbericht fehlt die Dokumentation, wie zur Durchtrennung des Schlauchs gekommen ist. Eine präoperative Messung der genauen Lage des Portschlauchs fand nicht statt.

Der Kläger ist der Auffassung, der Zweitbeklagte habe vor Operationsbeginn die genaue Lage des Portschlauchs feststellen müssen. Dadurch wäre die Durchtrennung vermeidbar gewesen. Aus dem Umstand, dass im Operationsbericht die erforderliche Dokumentation fehlt, aus der geschlossen werden kann, ob sich die Durchtrennung des Schlauchs auf eine fehlerhafte Vorgehensweise bei der Operation zurück führt oder nicht leitet der Kläger eine Beweislastumkehr. Nach seiner Auffassung sei die beklagte Partei nunmehr beweispflichtig, dass sich der Schaden (Durchtrennung des Schlauchs) auf den Behandlungsfehler bei der Operation zurückführt. Seine rechte Schulter und Arm seien dauerhaft beeinträchtigt, was eine Depression hervorgerufen habe. Zuvor ausgeübter Freizeitsport (Tennis, Skilanglauf) sei nicht mehr möglich.  All das sei den Beklagten anzulasten.

Das Landgericht hat einen Sachverständigenbeweis erhoben. Der Sachverständige stellte fest, der Eingriff sei mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden, der Bericht über die Implantation des Portschlauches habe nicht zwingend angefordert und ausgewertet werden müssen. Die Durchtrennung des Schlauchs könne vorkommen, ohne dass dies als Fehler zu werten sei.

Das Landgericht ist dem Sachverständigen gefolgt und hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung des OLG Koblenz:

OLG Koblenz bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz, es folgt der Auffassung des Klägers nicht.

Es führt im Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO aus:

"Die Dokumentation dient weder dazu, ärztliches Handeln lückenlos in sämtlichen Details festzuhalten, noch dazu, die tatsächlichen Grundlagen eines Haftpflichtprozesses gegen den Arzt zu schaffen oder zu erschüttern. Die Dokumentation richtet sich an den nachbehandelnden Arzt, dem durch Aufzeichnung der behandlungsrelevanten medizinischen Fakten verdeutlicht werden soll, ob und gegebenenfalls welche Auffälligkeiten und Besonderheiten aufgetreten sind, die von Einfluss auf die Gesundheit des Patienten sein können und daher in die Überlegungen zum weiteren Behandlungskonzept einbezogen werden müssen.

Gemessen daran liegt hier keine Dokumentationslücke vor, die eine Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr rechtfertigt. Die mit verständlicher Emotionalität vorgetragene Berufungsthese, dem narkotisierten, nach dem Eingriff mit einer Nervschädigung belasteten Patienten, dürfe nicht zugemutet werden, zum für ihn nicht wahrnehmbaren konkreten Operationsverlauf vorzutragen, ist richtig, greift indes zu kurz. Sie berücksichtigt nämlich nicht, dass nahezu jeder ärztliche Eingriff risikobehaftet ist, weshalb es trotz aller ärztlichen Sorgfalt zu einer von allen Beteiligten unerwünschten Schädigung des Patienten kommen kann.  Für die genaue Ursachenermittlung ist in diesen Fällen meist ein möglichst detaillierter Operationsbericht hilfreich. Nur das bringt der vom Sachverständigen geäußerte Vorbehalt gegen den recht knappen Operationsbericht des Zweitbeklagten zum Ausdruck. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, unter der Operation müsse es zu dokumentationspflichtigen Zwischenfällen oder Ereignissen gekommen sein, die der Bericht verschweige.

Gab es bei Bewältigung des Problems, den Schlauchrest zu entfernen, keine nennenswerten Auffälligkeiten und Besonderheiten, musste der Zweitbeklagte den gewöhnlichen Ablauf der Dinge auch nicht dokumentieren".  

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

Stellungnahme:

Die Entscheidung ergänzt bereits eine Reihe von ähnlichen Entscheidungen zum Thema Dokumentationspflicht. Die Rechtsprechung lässt es zu, dass der Arzt etwaige Mängel und Unvoll­stän­dig­keiten der Dokumen­tation im Rahmen seiner persön­lichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vervoll­stän­digen bzw. ergänzen kann. Nun ist es aber oft so, dass sich der Arzt an einen konkreten Fall nicht erinnern kann. Aus diesem Dilemma rauszukommen, verhilft ihm die Rechtsprechung dadurch, dass sie für ausreichend erachtet, dass der Arzt dann seine gewöhnliche Vorgehensweise zur Erstellung der Dokumentation vorträgt. Daraus wird geschlossen, dass falls kein besonderer Umstand in der Behandlungsdokumentation erwähnt wurde, ist auch nichts Außergewöhnliches passiert. Mit dieser Begründung halten das LG und OLG den Vorwurf des Klägers für unbegründet. Sie ist aber nicht unproblematisch. Einerseits ist es richtig, dass an die Dokumentation keine überspannten Aufforderungen zu stellen sind. Andererseits ergibt sich aus der Dokumentation das Wesentliche aus dem Behandlungsverlauf. Gibt man dem Arzt die Möglichkeit dazu im Bezug auf den konkreten Fall ergänzend vorzutragen, ist das unbedenklich. Schwieriger wird es, wenn zu Gunsten des Arztes angenommen wird, es sei nichts Außergewöhnliches passiert. Diese Annahme zugunsten einer Partei geht zu weit und findet verständlicherweise bei Patienten keine Akzeptanz. Der Ausweg bietet wie immer der Grundsatz der Einzelfallentscheidung, die auf jeden Fall durch den Sachverständigenbeweis zu klären ist. Der Sachverständige hat dazu Stellung zu nehmen, welche wesentlichen Tatsachen bei jeweiligen Behandlung zu beachten sind. Sie unterliegen dann der Dokumentationspflicht. Für den oben geschilderten Fall bedeutet das Folgendes: die Angaben im Operationsbericht zu den Einzelheiten wären dann erforderlich, wenn der Operateur bestimmte Maßnahmen einzuhalten hätte, etwas die vom Kläger vorgetragene Feststellung der genauen Lage des Portschlauchs. Wird die Frage verneint, ist der Umstand selbstverständlich nicht zu dokumentieren. Anderenfalls muss die Feststellung dokumentiert werden. Fehlt dies, ist es davon auszugehen, dass die Feststellung unterblieben ist. Der Operateur kann zwar als Zeuge bzw. im Rahmen der Parteianhörung die fehlenden Angaben im Operationsbericht ergänzen. Hat er sie jedoch nicht mehr in Erinnerung, ist davon auszugehen, dass die nicht dokumentierte Maßnahme unterblieben ist. Liegt darin ein grober Behandlunsgfehler vor, tritt die Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes ein.