Das selbständige Beweisverfahren ist nicht dafür vorgesehen, den Arzthaftungsprozess vorwegzunehmen 

Das Problem:

Vor 7  Jahren hat der BGH die bis dahin streitige Frage der Anwendbarkeit des selbstständigen Beweisverfahrens im Arzthaftungsrecht entschieden, BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003, Az. VI ZB 51/02. In dieser Leitsatzentscheidung hat der Senat ausgeführt, dass sich das selbständige Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, darauf beschränkt, den Zustand dieser Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und die Wege zur Beseitigung des Schadens nicht jedoch die rechtlichen Fragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden festzustellen (§ 485 Abs. 2 ZPO). Zu Befugnissen des Gericht im selbstständigen Beweisverfahren zählen die Möglichkeiten, den Sachverständigen zur Anhörung zu laden bzw. zur Ergänzung des Gutachtens aufzufordern, ein weiteres Gutachten einzuholen oder die Parteien zur Erörterung zu laden (§§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3, § 412 Abs. 1 ZPO; § 492 Abs. 3 ZPO). Das Gericht ist aber an die Formulierung der Beweisfragen durch den Antragsteller gebunden. Der Senat hat auch nicht verkannt, dass die - im selbstständigen Beweisverfahren zulässigen -  Fragen zur Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe in der Praxis dazu führen können, dass die – im selbstständigen Beweisverfahren nicht zu klärenden - Frage, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist,mittelbar beantwortet werden können.

Die auf den ersten Blick klaren Vorgaben des BGH erweisen sich in der Praxis nicht immer als unproblematisch. Parteien versuchen, sich mit weit gefassten unzulässigen Fragen durchzusetzen. Gerichte lassen derart weit gefasste Fragen zu. OLG Köln hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die - im selbstständigen Beweisverfahren – gestellte Frage, ob Behandlung des Patienten "lege artis" erfolgt sei, zulässig ist , Beschluss vom 28.10.2010, Aktenzeichen: 5 W 31/10.

Der Fall:

Der Antragsteller (Patient) stellte im selbstständigen Beweisverfahren beim LG Köln, 28.07.2010, OH 7/10 die Frage, ob die Behandlung durch den Antragsgegner "lege artis" erfolgt sei. Auf einen darauf folgenden Hinweis der Kammer, ob die Frage umformuliert werden soll,  teilte der Antragssteller mit, dass er auf seiner Fassung des Antrages bestehe und die vorgeschlagene Fassung für nicht zweckdienlich erachte. Die Kammer nahm dann die Umformulierung der Frage dennoch vor und ordnete deren Beantwortung im Beweisbeschluss an. Gegen diese Umformulierung haben sich beide Beteiligten beschwert. Der Antragssteller hielt die ursprüngliche Frage für zulässig und somit die Umformulierung für unzulässig. Der Antragsgegner hielt beides für unzulässig.

Entscheidung des OLG Köln:

Nach der Auffassung des Senats bedeutet "Lege artis" nichts anderes als "im Einklang mit fachärztlichem (bzw. fach-zahnärztlichem) Standard stehend". Weicht die Behandlung von dem objektiv zu fordernden Standard ab, ist sie als fehlerhaft anzusehen. Auf Fragen individuellen Verschuldens des (Zahn-)Arztes kommt es dabei regelmäßig nicht an, da der (Zahn-)Arzt fachärztlichen Standard gewährleisten muss. Die Frage nach einer "lege artis" erfolgten Behandlung geht grundsätzlich über das im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahren Zulässige hinaus.

Die durch die Kammer - gegen den Willen der fragestellenden Partei - vorgenommene Umformulierung der Beweisfrage hält der Senat für unzulässig. Er führt aus:

„Es ist dem Gericht grundsätzlich verwehrt, die Beweisfragen eines Antragstellers inhaltlich so zu verändern und umzuformulieren, dass sie sich im Rahmen des Zulässigen bewegen. Das Gericht ist an die Formulierung der Beweisfragen durch den Antragsteller vielmehr gebunden und kann einem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nur entweder stattgeben oder ihn zurückweisen, wenn er unzulässig ist“.

Der Senat hat den das Beweisverfahren anordnenden Beschluss aufgehoben.

Hinweis für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bei der Formulierung der Beweisanträge ist darauf zu achten, dass sie sich weder auf die ursächliche Handlung oder Unterlassung als schuldhafte Fehlbehandlung noch  auf objektive Pflichtverletzung hinauslaufen. Die Grenze ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Will man unbedingt diese Fragen vor dem Prozess klären lassen, steht hierzu das außergerichtliche Schlichtungsverfahren vor den Gutachter-und Schlichtungsstellen der Ärztekammern zur Verfügung. Das Schlichtungsverfahren schließt das selbständige Beweisverfahren nicht aus, BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003, Az. VI ZB 51/02. Ein Verfahren bei einer Schlichtungsstelle erfordert weder eine anwaltliche Vertretung noch Kosten, dafür kann es aber dem Patienten aus seiner regelmäßig vorhandenen vorprozessualen Beweisnot helfen und bereits vor der Klageerhebung die Erfolgsaussichten (kostenlos) prüfen zu lassen. Das Schlichtungsverfahren hemmt auch die Verjährung, soweit der Ersatzpflichtige am Schlichtungsverfahren beteiligt ist, § 204 I Nr. 4 BGB.

Es entspricht der ständigen Praxis, dass  die Gerichte unzulässige Fragen nicht ohne Hinweis zurückweisen, § 139 ZPO (Hinweispflicht des Gerichts).  Die Umformulierung durch das Gericht selbst ist ohne Zustimmung des Antragstellers jedoch unzulässig und kann mit Beschwerde angegriffen werden (grundlegend BGH, Beschluss vom 4.11.1999, VII ZB 19/99, NJW 2000, 960 f.; Senat, Beschluss vom 29.4.2009, 5 W 3/09).