Anspruch auf Schadensersatz wegen eines fehlerhaften Glaubwürdigkeitsgutachtens in einem Strafprozess, LG Saarbrücken Urteil vom 29.1.2015, 3 O 295/13
Der Fall:
Der Kläger nimmt im Jahr 2013 die Beklagte auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld sowie Feststellung ihrer Eintrittspflicht hinsichtlich aller bereits entstandenen und künftigen Schäden, die ihm durch fehlerhaftes Gutachten im vorausgegangenen Strafverfahren (rechtskräftig abgeschlossen im Jahr 2004) und eine darauffolgende (rechtswidrige) Inhaftierung.
Strafverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken (2003-2004):
Der Kläger war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004, Aktenzeichen 5 – 25/03 IV, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, begangen jeweils zum Nachteil der A, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden.
Anlass der erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs waren Angaben der A, geboren 1989, die am 21.07.2001 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau als Pflegekind mit Einwilligung ihres leiblichen Vaters aufgenommen worden war.
In der Folge kam es ab November 2001 zu Konflikten, die in einem Vorfall vom 12.12.2002 mündeten. Dieser Vorfall, bei dem die A. dem Kläger von hinten über die Hose an das Geschlechtsteil griff, führte sodann zur Beendigung des Pflegschaftsverhältnisses des Klägers und seiner Ehefrau zu der A. Unter dem 22.01.2003 erstattete der leibliche Vater Strafanzeige gegen den Kläger, nachdem A ihm über die angeblichen Missbrauchsvorfälle berichtete.
Die Beklagte hatte zunächst auf Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken im Jahr 2003 ein schriftliches und später auch in der mündlichen Verhandlung nach Teilnahme an allen Beweisaufnahmen im Jahre 2004 ein mündliches Glaubwürdigkeitsgutachten erstattet, in dem sie die Angaben der A. mit hoher Wahrscheinlichkeit als glaubhaft einstufte.
Aufgrund des Urteils verbüßte der Kläger von der ausgesprochenen dreijährigen Freiheitstrafe einen Anteil von 683 Tage. Die Rechtsmittel des Klägers blieben erfolglos. Sein Beamtenverhältnis wurde mit Verurteilung geendet.
Verfahren beim Landgericht Saarbrücken, Az.: 2 O 77/05 (Zivilverfahren der A gegen den Kläger):
Die A. erhob im Jahr 2005 Klage auf Schmerzensgeld gegen den Kläger vor dem Landgericht Saarbrücken (Az.: 2 O 77/05). Im Jahr 2006 legte der Kläger (dort Beklagte) eine von ihm eingeholte fachwissenschaftliche Stellungnahme vor, in der ausgeführt wurde, dass das Glaubwürdigkeitsgutachten mangelhaft sei. Mit Urteil vom 13.12.2007 (an den Kläger zugestellt im Jahr 2007) wies das Landgericht Saarbrücken die Klage ab, da es die Missbrauchsvorwürfe durch die Klägerin als nicht nachgewiesen ansah und insbesondere die gutachterliche Einschätzung zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der A. im Rahmen des Strafverfahrens nicht teilte. Auf die Berufung der A. bewilligte das Saarländische Oberlandesgericht (Az.: 1 U 32/08-9) ihr Prozesskostenhilfe und holte im Jahr 2008 ein Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Begutachtung der Glaubwürdigkeit der A. im Strafverfahren ein. Der bestellte Sachverständige erstellte Jahr 2010 sein Gutachten. Er gelangte zu der Auffassung, dass die Angaben der A. als nicht erlebnisbegründet und als nicht glaubhaft einzuschätzen seien. Es wurden gravierende methodische Mängel sowie daraus abgeleitete Fehleinschätzungen für das Gutachten der Beklagten festgestellt. Das Saarländische Oberlandesgericht wies die Berufung schließlich mit Urteil vom 13.07.2011 (Az.: 1 U 32/08-9) zurück.
(3.) Wiederaufnahmeverfahren
Aufgrund dieser neuen gutachterlichen Feststellungen im Zivilprozess wurde das Strafverfahren des Klägers vor dem Amtsgericht Neunkirchen im Jahr 2012 wiederaufgenommen und der Kläger wurde schließlich am 07.11.2013 freigesprochen.
Anträge des Klägers
Der Kläger beantragte,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 38.455,61 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, dass einen Betrag von 80.000 Euro aber nicht unterschreiten sollte;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm den Schaden zu erstatten, der ihm durch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Verlust der Dienstbezüge) und durch den vorzeitigen Pensionsbezug (Kürzung der Pensionsbezüge) entstanden sei;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm die künftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die ihm durch das fehlerhafte Gutachten der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der A und die daraus folgende rechtswidrige Inhaftierung wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der A entstehen werden.
Einwände der Beklagten
Die Beklagte vertritt die Auffassung, sie sei nicht passivlegitimiert, da der Gutachtensauftrag an das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie – klinische Medizin der Universität des Saarlandes erteilt worden sei. Das Gutachten sei auch unter dem Briefkopf der Universität erstellt worden. Sie habe somit in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, so dass ein Haftungsübergang auf den Staat vorliege, da die Universität eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei.
Sie bestreitet eine Fehlerhaftigkeit des von ihr im Strafverfahren erstellten Gutachtens, jedenfalls liege keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Handlung vor.
Die Rechtsmittel seien nicht ausgeschöpft. Zur Rechtsmittelausschöpfung seien auch formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens zu zählen. Diesem Erfordernis habe der nur hilfsweise gestellte Beweisantrag im Schlussplädoyer des Strafverfahrens nicht genügt. Erforderlich sei vielmehr ein unbedingter Beweisantrag gewesen, über den nicht gemäß § 244 Abs. 4 StPO hätte entschieden werden können.
Auch sei eine Verfassungsbeschwerde nicht erhoben worden.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Die Verjährung habe bereits mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im Strafverfahren und Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof im Jahr 2004 zu laufen begonnen. Dies gelte insbesondere, da der Kläger über seinen damaligen Verteidiger jedenfalls einen Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines weiteren Glaubwürdigkeitsgutachtens gestellt habe, da sie ihre schriftlichen Äußerungen im mündlichen Gutachten zu bestätigen versucht habe. Die erforderlichen Kenntnisse des Klägers ergäben sich somit bereits aus der Begründung des Hilfsbeweisantrages im Rahmen des Schlussplädoyers. Eine Kenntnis der angeblichen Fehlerhaftigkeit habe daher bereits im Jahre 2004 vorgelegen, so dass Schadensersatzansprüche zum 31.12.2007 verjährt seien.
Jedenfalls zum 31.12.2009 sei die Verjährung vollendet gewesen, da sich aus der fachwissenschaftlichen Stellungnahme zu ihrem aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten – vorgelegt durch den Kläger beim Landgericht Saarbrücken, Az.: 2 O 77/05 im Jahr 2006 - alle notwendigen Erkenntnisse ergeben hätten, so dass jedenfalls seit diesem Zeitpunkt Kenntnis vorgelegen habe.
Spätestens zum 31.12.2010 sei Vollendung der Verjährung eingetreten, da bereits im Jahr 2007 dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers das Urteil des Landgerichts Saarbrücken (2 O 77/05) zugestellt worden sei.
Entscheidung
Das LG Saarbrücken hat durch Teil- und Grundurteil gemäß den §§ 301, 304 Abs. 1 ZPO entschieden.
Tenor:
- Die materiellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Grund eines fehlerhaften Gutachtens der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der A und der daraus folgenden rechtswidrigen Inhaftierung des Klägers wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der A werden dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz des BGB ab dem 15.05.2014 zu zahlen, im Übrigen wird der Klageantrag zu 2) betreffend des Schmerzensgeldes abgewiesen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu erstatten, der ihm durch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Verlust der Dienstbezüge) und durch den vorzeitigen Pensionsbezug (Kürzung der Pensionsbezüge) entstanden ist, soweit der Schaden nicht durch Dritte bereits ausgeglichen wurde.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die diesem durch das fehlerhafte Gutachten der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der A und die daraus folgende rechtswidrige Inhaftierung wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der A entstehen werden.
„Da hinsichtlich der im Klageantrag zu 1) geltend gemachten einzelnen Schadensposition über insgesamt 38.455,61 Euro noch die jeweilige Höhe streitig ist, kann insoweit zum jetzigen Zeitpunkt nur ein Grundurteil gemäß § 304 Abs. 1 BGB ergehen.
Hingegen kann über den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch (immaterieller Schaden im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB) auf der Basis des derzeitigen Sach- und Streitstandes abschließend entschieden werden. Insoweit ist daher ein Teilurteil gemäß § 301 ZPO möglich.
Bezüglich der beiden Feststellungsanträge in den Klageanträgen zu 3) und zu 4) kann gemäß § 301 ZPO aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes Teilurteil ergehen, da die Anträge gemäß § 256 ZPO begründet sind.
Hinsichtlich der Ansprüche betreffend das Beamtenverhältnis sind zwar zwischenzeitlich Teilregelungen getroffen worden, eine abschließende Erledigung ist aber unstreitig noch nicht eingetreten. Das Feststellungsinteresse des Klägers besteht, da es sich bei der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis um eine nach den beamtenrechtlichen Regelungen vorgesehene Rechtsfolge handelt, die vorliegend kausal auf die erfolgte Verurteilung aufgrund des fehlerhaften Gutachtens der Beklagten zurückzuführen ist.
Auch die weiteren Feststellungsansprüche stehen dem Kläger zu, da der Eintritt von weiteren zukünftigen Schäden nicht ausgeschlossen werden kann, insbesondere liegt aufgrund der unstreitigen Tinnitus-Erkrankung bereits ein Dauerschaden vor, der auch einen immateriellen Vorbehalt rechtfertigt“.
Passivlegitimation
Die Beklagte persönlich ist passivlegitimiert. Das Gutachten ist aufgrund der ausdrücklichen gerichtlichen Ladung der Beklagten persönlich, somit der Ernennung der Beklagten als vom Gericht bestellter Sachverständigen, nach deren Teilnahme an allen vorausgegangenen mündlichen Verhandlungen in der Strafsache gegen den hiesigen Kläger erstattet worden. Dass sich die Beklagte hierbei auf ihre schriftlichen Ausführungen im Rahmen des im Zuge des Ermittlungsverfahrens erstellten Gutachtens auch bezogen hat, führt gleichwohl nicht zu einer fehlenden Passivlegitimation.
Insoweit ließ das LG dahinstehen, ob sich aus der Beauftragung der Staatsanwaltschaft Saarbrücken im Zuge des Ermittlungsverfahrens 21 Js 461/03 an das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie – klinische Medizin – Universität des Saarlandes ein hoheitliches Handeln ergibt und eine Haftungsübernahme nach § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG ergäbe. Auch unter Berücksichtigung der Darlegungen des BGHs in seiner Entscheidung vom 06.03.2014 (Az.: III ZR 320/12) ergeben sich keine Ansatzpunkte, die Erstellung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens im Rahmen eines Strafverfahrens als hoheitliche Tätigkeit einzuordnen. Denn jedenfalls hat die Beklagte auch ein mündliches Gutachten erstattet.
Fehlerhaftigkeit des Gutachtens:
Das erstattete mündliche Gutachten ist fehlerhaft. Das von dem Sachverständigen erstellte Gutachten ist unrichtig, wenn es nicht der objektiven Sachlage entspricht. Das ist z.B. dann der Fall, wenn der Sachverständige unrichtige Tatsachenfeststellungen trifft oder fehlerhafte Schlussfolgerungen zieht oder eine Sicherheit vorspiegelt, obwohl nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil möglich ist.
Das LG stützt sich auf die Ausführungen des Sachverständigen im Zivilverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken (2 O 77/05). Ausdrücklich werden von dem Sachverständigen die gravierenden methodischen Mängel des Gutachtens der Beklagten bestätigt. Als gravierender methodischer Mangel wird der fehlende Abgleich zwischen den Angaben von A und den fremdanamnetischen Befunden nachvollziehbar und schlüssig aufgezeigt. Weiterhin wird auf den fehlenden Aussagevergleich zwischen habituellen Aussageverhalten und den aus der Exploration abgeleiteten Einschränkungen verwiesen, ebenso auf die fehlende solide merkmalorientierte aussagepsychologische Begutachtung unter strenger Zugrundelegung der Nullhypothese. Auch eine fehlende detaillierte Betrachtung von suggestiven Einflüssen wird herausgestellt, dies speziell im Hinblick auf die während der Begutachtung durchgeführte Traumatherapie mit einem wissenschaftlich nicht anerkannten Verfahren. Die getroffenen Feststellungen lassen auch im Rahmen der Motivanalyse deutlich werden, dass Bedingungen für die Entstehung einer falschen Beschuldigung vorlagen. Auch eine Verwerfung der Übertragungshypothese ist aufgrund der bestehenden sexuellen Vorerfahrungen nicht möglich, gleiches gilt für die Wahrnehmungsübertragungshypothese. Aufgrund der Feststellung von Suggestivfragen und einer Traumatherapie kann auch die Suggestionshypothese letztlich nicht verworfen werden. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Nullhypothese nicht zurückgewiesen werden kann und die Aussagen der A als nicht erlebnisbegründet angesehen werden müssen. In der Folge führt dies dazu, dass die Aussagen als nicht glaubhaft einzuschätzen sind. Weiterhin bedeutet dies, dass das Gutachten der Beklagten im Strafverfahren falsch, weil methodisch fehlerhaft erstellt war.
Kausalität des Gutachtens für die Entscheidung
Das erstattete Gutachten ist auch für die Entscheidung im Strafverfahren kausal gewesen. Entscheidend für die Frage der Haftung der Sachverständigen ist vorliegend auch nicht die materiell-rechtliche Frage, ob der Kläger die vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen hat, sondern die prozessual-rechtliche Frage, ob die Verurteilung auf der Basis der vorliegenden Beweise, somit insbesondere des erstellten unrichtigen Sachverständigengutachtens, erfolgt ist.
Es genügt, dass das Gutachten neben anderen Beweismitteln zur Überzeugungsbildung des Gerichtes beigetragen hat, wobei in der Literatur darauf verwiesen wird, dass im Sinne der conditio sine qua non-Formel zu fragen ist, ob die gerichtliche Entscheidung ohne das unrichtige Gutachten genauso ausgefallen wäre.
Das LG hat ausdrücklich ausgeführt, dass es sich auf die sachverständigen Ausführungen der Beklagten zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung der A stützt und diesen folgt.
Grobe Fahrlässigkeit
Die Fehlerhaftigkeit des erstatteten Gutachtens beruht auf grober Fahrlässigkeit. Maßgebend ist insoweit vielmehr die Perspektive des Sachkundigen. Auch der "Billigung" durch das Gerichts kommt keine ein grobes Verschulden des Sachverständigen generell ausschließende Bedeutung zu; sie ist in aller Regel gerade Voraussetzung für die Haftung des Sachverständigen gemäß § 839a BGB weil diese nur dann eingreift, wenn die Entscheidung des Ausgangsprozesses auf seinem Gutachten - und damit auch auf dessen Billigung durch die Gerichte des Ausgangsprozesses – beruht. Für die Annahme grober Fahrlässigkeit des Sachverständigen nach § 839a BGB kommt es nicht darauf an, dass die Unrichtigkeit des Gutachtens jedermann, auch den entscheidenden Richtern, auf Grund nahe liegender Überlegungen hätte einleuchten müssen.
Erschöpfung des Rechtsweges
Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde der Rechtsweg seitens des Klägers auch erschöpft, so dass die Haftung der Beklagten nicht gemäß § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB entfällt.
Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte zunächst gegen die Stellung des hilfsweisen Beweisantrages auf Einholung eines Obergutachtens im Rahmen des Strafverfahrens. Dass er nicht als unbedingter Beweisantrag, sondern in Form eines hilfsweisen Beweisantrages gestellt wurde, steht der Ausschöpfung des Rechtsweges nicht entgegen. Denn auch ein unbedingter Beweisantrag muss durch das Gericht beschieden werden.
Im Übrigen sind weder Wiederaufnahmeanträge noch die Verfassungsbeschwerde als (klassische) Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB anerkannt.
Keine Verjährung
Die Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt. Die Einrede der Verjährung dringt nicht durch, so dass die Beklagte nicht gemäß § 214 Abs. 1 BGB zur Leistungsverweigerung berechtigt ist.
Die Ansprüche aus § 839a BGB unterliegen der regelmäßigen Verjährung des § 195 BGB (3 Jahre), die mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangte oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Vorliegend entstand der streitgegenständliche Anspruch im Jahre 2004 (erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Saarbrücken am 24.05.2004 und Verwerfung Revision durch den BGH).
Mit dem Erlass des Strafurteils und der Verwerfung der hiergegen eingelegten Revision ist der Anspruch nicht nur entstanden, sondern bei dem Kläger waren zu diesem Zeitpunkt auch die für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Kenntnisse betreffend des Vorliegens eines auf einem unrichtigen Gutachten basierenden Urteils bereits positiv vorhanden, weil er wusste, dass er die vorgeworfenen Taten nicht begangen hatte.
Jedoch ist dies allein nicht ausreichend, da für den Verjährungsbeginn auch eine Kenntnis betreffend Umständen hinsichtlich einer hier allein in Betracht kommenden groben Fahrlässigkeit bezüglich der fehlerhaften Gutachtenerstellung hinzutreten muss. Der Zeitpunkt dieser Kenntniserlangung ist strikt vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung über die Unrichtigkeit des Gutachtens zu trennen.
Während die Kenntnis betreffend der inhaltlichen Unrichtigkeit des Gutachtens bereits mit dessen Vorliegen eintritt, gilt dies für die Kenntnis der grob fahrlässigen fehlerhaften Erstellung gerade noch nicht. Anders als die Frage der Richtigkeit der Aussage des Gutachtens ist für letztere eine Kenntnis von methodischen Fehlern bei der Gutachtenserstellung nötig, und zwar solcher methodischer Fehler, die den Vorwurf eines grob fahrlässigen Handeln in Form eines erheblichen Abweichens von einem grundsätzlich einzuhaltenden wissenschaftlichen Standard begründen. Hierfür ist das Vorliegen des Urteils als auch die Verwerfung der Revision allein nicht ausreichend, da jegliche Ansatzpunkte für Fehler betreffend der Erstellung des Gutachtens selbst noch fehlen. Da solche sich insoweit auch den mit der Sache befassten Gerichten nicht aufgedrängt haben, fehlen auch Ansatzpunkte für die Bejahung einer eigenen grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers.
Auch mit der Vorlage der fachwissenschaftlichen Stellungnahme im Jahr 2006 im Zivilverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken O 77/05, die vom Kläger selbst eingeholt wurde, trat die erforderliche Kenntnis nach Auffassung des LG beim Kläger noch nicht ein. Denn die Stellungnahme stellte kein vollständiges fachwissenschaftliches Gutachten eines Sachverständigen dar, sondern letztlich nur eine – wenn auch ausführliche – überschlägige Bewertung des im Strafurteil des Landgerichts Saarbrücken verwendeten Gutachtens.
Hierbei muss insbesondere beachtet werden, dass sich die Beurteilungen maßgeblich auf das im Strafverfahren auch berücksichtigte, aber für die Verurteilung eben nicht allein entscheidende schriftliche Gutachten der Beklagten bezogen. Die Bewertung des mündlichen Gutachtens war für den Verfasser der Stellungnahme auch gar nicht möglich, da ihm die Strafakten nicht zur Verfügung standen. Weiterhin ist zu beachten, dass die Stellungnahme nicht im Rang eines Gutachtens steht, sondern von einer gerade im wissenschaftlichen Sprachgebrauch anerkanntermaßen weniger fachmethodisch aufbereiteten und erarbeiteten Stellungnahme spricht.
An dieser Beurteilung ändert dann auch der Erlass des Urteils im Verfahren 2 O 77/05 des Landgerichts Saarbrücken am 13.12.2007 nichts. Zwar ergab sich nun aus den Gründen dieses Urteils, dass dieses Gericht von einem methodisch fehlerhaften Gutachten im Rahmen des Strafverfahrens ausging und somit auch hinreichende Ansatzpunkte für den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens der Beklagten gesehen haben dürfte, denn die Urteilsbegründung setzt sich dezidiert mit den gutachterlichen Feststellungen und dem Stand der Wissenschaft auseinander. An einer konkreten Benennung für die Kenntniserlangung des Klägers notwendiger Umstände hinsichtlich eines fehlerhaften Gutachtens kann hiernach zwar grundsätzlich kein Zweifel bestehen. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass diese nicht durch ein fachwissenschaftliches Gutachten erarbeitet worden sind, sondern durch das Gericht selbst. Die rechtliche Belastbarkeit der gerichtlichen Feststellungen ist daher gerade von der Rechtskraft dieses Urteils abhängig. Vor Eintritt der Rechtskraft können auch diese Feststellungen nicht an den Rang einer gutachterlichen Beurteilung zur methodischen und fachtechnischen Prüfung des Ausgangsgutachtens heranreichen.
Rechtskraft hinsichtlich der Entscheidung im Verfahren 2 O 77/05 des Landgerichts Saarbrücken ist sodann aufgrund eines von der dortigen Klägerin eingereichten PKH-Antrags verbunden mit einer Berufungseinlegung zunächst nicht eingetreten. Denn das Saarländische Oberlandesgericht bewilligte sodann die PKH zugunsten der dortigen Klägerin, und hat mithin ihrem Vorbringen eine hinreichende Erfolgsaussicht beigemessen und somit zu erkennen gegeben, dass es offensichtlich der Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts aus der Entscheidung vom 13.12.2007 in Sachen 2 O 77/05 nicht ohne weiteres zu folgen beabsichtigte.
Wenn aber nunmehr ein mit drei Berufsrichtern besetztes Gericht sich dem erstinstanzlichen Urteil offensichtlich nicht beabsichtigt anzuschließen, kann anderseits einem, wenn auch anwaltlich beratenen Laien, nicht eine positive Kenntniserlangung hinsichtlich einer methodisch vorwerfbaren fehlerhaften Gutachtenserstellung aufgrund dieses Urteils zugerechnet werden. Jedenfalls können die ohne gutachterliche Überprüfung erfolgten Feststellungen im Urteil des Landgerichts Saarbrücken in Sachen 2 O 77/05 die Voraussetzungen hinsichtlich einer positiven Kenntniserlangung betreffend der methodischen Angreifbarkeit und eines hieraus resultierenden Vorwurfs grober Fahrlässigkeit nicht tragen, zumal letztere Frage im Rahmen der Entscheidung in Sachen 2 O 77/05 des Landgerichts Saarbrücken nicht beleuchtet werden musste.
Letztlich gelangt das LG daher zum für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Zeitpunkt durch das Vorliegen des Gutachtens des Sachverständigen im Juli 2010 in II. Instanz im Zivilprozess (2 O 77/05 Landgericht Saarbrücken). Denn mit Vorlage dieses Gutachtens im Juli 2010 sind die bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Urteils seitens des Landgerichts Saarbrücken aufgezeigten methodischen Fehler des Gutachtens der Beklagten einerseits bestätigt worden und anderseits hat der Sachverständige sich auch mit der Frage des fachlich korrekten Vorgehens der Gutachterin auseinandergesetzt, somit die sich aus der methodisch fehlerhaften Vorgehensweise ergebende Anknüpfungspunkte für den sich daraus begründenden Vorwurf der grob fahrlässigen fehlerhaften Erstellung aufgezeigt. Da nunmehr nicht nur eine sachverständige Bestätigung der Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zur Fehlerhaftigkeit des Gutachtens selbst vorlag, sondern auch eine sachverständige Überprüfung der Vorgehensweise der Gutachterin, lagen alle relevanten Informationen für den Kläger vor. Ein weiteres Zuwarten bis zur Erlangung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung war nicht mehr nötig. Das Zusammenspiel einer gerichtlich günstigen Beurteilung und einer sachverständigen Bestätigung dieser Beurteilung ist ausreichend, um vom Kläger weitere Tätigkeiten zu verlangen: Die zur Kenntniserlangung notwendigen Informationen liegen nunmehr in belastbarer Form vor.
Verjährungsbeginn für den streitgegenständlichen Anspruch ist somit der 01.01.2011 gewesen. Die vorliegende Klage ist in Verbindung mit einem PKH-Antrag am 27.12.2013 und damit in unverjährter Zeit eingereicht worden.
Schmerzensgeldanspruch
Dem Kläger steht ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 50.000 Euro gemäß § 839a BGB zu.
Die Höhe der Schadenersatzansprüche ist gemäß den §§ 249 ff. BGB zu bestimmen.
Maßgeblich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist vorliegend neben dem eingetretenen Freiheitsentzug des Klägers auch die unstreitigen und zur Überzeugung des Gerichts nachvollziehbarerweise eingetretene psychische Belastung aufgrund des nicht dauerhaft zu verheimlichenden Haftgrundes und den mit Bekanntwerden einsetzenden Repressalien im Gefängnisalltag. Diese Abläufe der verbalen Angriffe und Einschüchterungsversuche hat der Kläger anschaulich im Rahmen seiner Anhörung geschildert und auch den dramatische Auswuchs in Form eines gezielten Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit emotional dargestellt. Ebenso hat der Kläger aber auch dargestellt, wie er schließlich einen Weg gefunden hat, um mit dieser Situation umgehen zu können, was ihm aus Sicht des Gerichts letztlich auch gelungen ist, ohne unter den Umständen völlig einzubrechen. Dass es gleichwohl auch nach seinem Freispruch zu traumatischen Episoden beim Kläger kommt, ist unstreitig. Weiterhin ist die unstreitige Tinnitus-Erkrankung, die ein dauerhaftes Rausches im Ohr hervorruft, als Dauerschaden zu berücksichtigen. Sowohl die erlittenen Einschränkungen, als auch der Zeitraum der Inhaftierung von 683 Tagen, mithin eines erheblichen Teils der ausgeurteilten Freiheitsstrafe, als auch die durch den Vorwurf des Kindesmissbrauchs bedingte gesellschaftliche Stigmatisierung, die selbst im Gefängnisalltag ihre Auswirkungen hat, verbunden mit den persönlichen finanziellen und familiären Folgen sind im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen.
Es ist aber auch aus Sicht der Beklagten zu berücksichtigen, dass ihr kein Vorsatz-, sondern ein – wenn auch grober – Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade im Hinblick auf die zeitliche Ausdehnung auch Umstände vorliegen, die der Beklagten nicht unmittelbar zugerechnet werden können, da sie außerhalb jedes persönlichen Einflussbereichs der Beklagten lagen. Ohne dass eine förmliche Anrechnung vorzunehmen wäre, ist zu berücksichtigen, dass es auch eine staatliche Entschädigung für den Kläger gibt, als Folge der Tatsache, dass eben nicht die Beklagte ganz alleine die Verantwortung für die Inhaftierung aufgrund einer erfolgten Verurteilung trägt.
Unter Berücksichtigung dieser gesamten Umstände erscheint vorliegend daher letztlich ein Schmerzensgeldbetrag von 50.000 Euro angemessen.
Hierbei hat das LG auf die folgenden Entscheidungen Bezug genommen: Das Landgericht Köln (18 O 142/00) sprach einem Kläger in einem Verfahren gegen eine Sachverständige, die in einem Ermittlungsverfahren ein aussagepsychologisches Gutachten betreffend dreier Kinder erstattet hatte, in dem sie die Aussagen zweier Kinder für glaubhaft und die eines Kindes als eingeschränkt glaubhaft eingestuft hatte, ein Schmerzensgeld von 11.000 DM zu, nachdem der dortige Kläger zunächst in einem Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, ohne dass die Sachverständige im Strafverfahren tätig geworden war. Die Entscheidung des Landgerichts Köln wurde zweitinstanzlich abgeändert (OLG Köln 11 U 188/01) und die Klage abgewiesen. Das Landgericht Bonn hat einem Kläger für eine viereinhalbmonatige Untersuchungshaft im Urteil vom 03.11.1994 (Az.. 15 O 169/94) einen Schmerzensgeldbetrag von 15.000 DM zu gesprochen. Zuletzt wurde seitens des Oberlandesgerichts Hamm in einem Urteil vom 14.11.2014 (Az.: 11 U 80/13) einem Abschiebehäftling hinsichtlich einer konventionswidrig vollzogenen Sicherungsverwahrung ein Betrag von 500 Euro pro Monat zugebilligt. Seitens des KG Berlin wurde einem Kläger für eine aufgrund anwaltlichen Fehlverhaltens erlittene 76 tägige Untersuchungshaft ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro zugebilligt (KG Berlin, Urteil vom 17.01.2005 in 12 U 302/03). Seitens des Landgerichts Marburg erhielt ein Kläger für eine achteinhalb jährige unberechtigte Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik ein Schmerzensgeld von 500.000 DM (Urteil vom 19.07.1995 in 5 O 33/90).
Stellungnahme:
Passivlegitimation
Das LG hat die Frage dahinstehen lassen, ob sich aus der Beauftragung der Staatsanwaltschaft Saarbrücken im Zuge des Ermittlungsverfahrens an das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie, in dem die Beklagte tätig war, ein hoheitliches Handeln und somit eine Haftungsübernahme nach § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG ergäbe. Denn die Beklagte hat jedenfalls auch ein mündliches Gutachten beim Gericht erstattet. Daher geht das Gericht – mangels Relevanz – nur kurz auf die Frage ein, ob ein im Ermittlungsverfahren erstattetes Gutachten ein hoheitliches Handeln darstellt. Mit der Frage hat sich aktuell auch der BGH beschäftigt (Urteil vom 06.03.2014 (Az.: III ZR 320/12)). Im BGH Fall ging es um medizinisches Sachverständigengutachten zur Todesursache. Der BGH hat das Handeln des Sachverständigen als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes mit der Begründung bejaht, dass sich die - auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgen - Leichenöffnung sowie die nachfolgenden Untersuchungen durch den Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts als Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe darstellte. Richtigerweise kommt das LG zum Ergebnis, dass eine dem Fall des BGHs vergleichbare Konstellation hier nicht vorliegt. „Anders als im vom BGH entschiedenen Fall, in dem es um ein Todesermittlungsverfahren, mithin eine in der StPO gesondert geregelte staatliche Eingriffsmaßnahme ginge, sei vorliegend die Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens von der Beklagten gefordert worden, mithin eine gesetzlich gerade nicht gesondert geregelte Eingriffsmaßnahme, sondern eine typische gutachterliche Gehilfentätigkeit für das Gericht. Dass es sich bei der Zuziehung von Sachverständigen zur Unterstützung von Gerichten jedoch grundsätzlich nicht um hoheitliche Tätigkeiten handele, sei allgemein anerkannt und folgte nicht zuletzt auch aus der gesetzlichen Regelung des § 839a BGB selbst“.
Grobe Fahrlässigkeit
Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Dieser Maßstab gilt gleichermaßen für die Haftung des Sachverständigen nach § 839a BGB; der Gutachter muss unbeachtet gelassen haben, was jedem Sachkundigen hätte einleuchten müssen, und seine Pflichtverletzung muss schlechthin unentschuldbar sein (BGH, Urteile vom 8. Juli 1992 - IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147, 149; vom 29. Januar 2003; BGH, Urteil vom 10.10.2013 in III ZR 345/12). Die Beschränkung der Haftung des vom Gericht beauftragten Gutachters auf große Fahrlässigkeit und Vorsatz dient der inneren Freiheit, derer er bedarf, um sein Gutachten unabhängig und ohne Druck eines möglichen Rückgriffs erstatten zu können (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/7752 S. 2; Palandt, BGB§ 839a Rn. 3).
Nach unzutreffender Ansicht einiger OLG soll darauf abgestellt werden, dass sich die Unrichtigkeit des Gutachtens jedermann, also auch den entscheidenden Richtern, auf Grund naheliegender Überlegungen hätte einleuchten müssen. Seien die Gerichte in zwei Instanzen dem Sachverständigengutachten gefolgt, bedürfe es einer eingehenden Darlegung der grob fahrlässigen, also jedem einleuchtenden Fehlerhaftigkeit des Gutachtens. Der Kläger habe also zu erläutern, warum auch die Gerichte nicht nur übersehen haben sollen, dass sie ihrer Entscheidung in Teilen unrichtige Gutachten zugrundelegen, sondern dass dies auch jedem, also auch den entscheidenden Richtern, aufgrund naheliegender Überlegungen hätte einleuchten müssen (OLG Celle · Beschluss vom 5. Mai 2009 · Az. 4 U 26/09). Dieser Auffassung hat sich der BGH nicht angeschlossen mit der Begründung, dass ein Gericht sich der Hilfe eines Sachverständigen bedient, weil es selbst über die nötige eigene Sachkunde nicht hinreichend verfügt. Folglich ist ein Gericht dann auch nicht ohne weiteres in der Lage, fachliche Mängel eines Gutachtens zu erkennen (BGH, Beschluss vom 24.07.2014 III ZR 412/13; BGH, Urteil vom 10.10.2013 in III ZR 345/12). Nimmt man an, die Billigung des Gutachtens und der Vorgehensweise des Sachverständigen durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens lasse ein grobes Verschulden des Sachverständigen entfallen, liefe die Haftung nach § 839a BGB weitestgehend leer und würde praktisch bedeutungslos ("Gefahr eines Zirkelschlusses"). Außerdem ist nicht klar, wie es einem Kläger gelingen soll „zu erläutern, warum auch die Gerichte nicht nur übersehen haben sollen, dass sie ihrer Entscheidung in Teilen unrichtige Gutachten zugrunde legen, sondern dass dies auch jedem, also auch den entscheidenden Richtern, aufgrund naheliegender Überlegungen hätte einleuchten müssen“. Dieser Vortrag kann im Bestreitensfalle nur durch eine Richtervernehmung bewiesen werden, was wiederum gegen das Beratungsgeheimnis verstoßen würde.
Zur Erschöpfung des Rechtsweges
Nach § 839 III tritt die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Der Begriff Rechtsmittel umschließt alle Rechtsbehelfe, die sich gegen die eine Amtspflichtverletzung darstellende Handlung oder Unterlassung richten und sowohl deren Beseitigung oder Berichtigung als auch die Abwendung des Schadens zum Ziel haben und herbeizuführen generell geeignet sind. Weder Wiederaufnahmeanträge noch die Verfassungsbeschwerde sind als (klassische) Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB anerkannt (OLG Köln, Urteil vom 20.02.2014, AZ.: 10 U 9/13)
Zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Eintritt des Schadens muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Erforderlich ist außerdem ein Verschulden, das unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln ist.
Ein Beweisantrag auf Einholung eines Obergutachtens im Strafverfahren zur Rechtswegerschöpfung ist im Sinne der Rechtswegerschöpfung notwendig, BGH, Urteil vom 05.07.2007, III ZR 240/06; BGH Beschluss vom 28.07.2006, III ZB 14/06. Zu Recht geht das LG davon aus, dass ein hilfsweiser Beweisantrag ausreichend ist, denn sowohl der unbedingte als auch der vorliegend gestellte Hilfsbeweisantrag musste durch das Gericht beschieden werden.
Verjährung
Nicht unproblematisch ist die Auffassung des LG zur Frage der Verjährung, indem es ausführt, dass die für die Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis des Klägers mit der Vorlage der fachwissenschaftlichen Stellungnahme im Jahr 2006 im Zivilverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken O 77/05, die vom Kläger selbst eingeholt wurde, nicht eintrat. Ob eine Stellungnahme, auf die sich das LG gestützt und die Klage auf Schmerzensgeld abgewiesen hat, nicht ausreichend war, die Kenntnis des Klägers bzgl. des großen Fahrlässigkeit der Beklagten bei der Erstellung ihrer Glaubwürdigkeitsgutachten zu begründen, erscheint sehr ergebnisbezogen. Das LG führt selbst aus:
„Zwar ergab sich nun aus den Gründen dieses Urteils, dass dieses Gericht von einem methodisch fehlerhaften Gutachten im Rahmen des Strafverfahrens ausging und somit auch hinreichende Ansatzpunkte für den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens der Beklagten gesehen haben dürfte, denn die Urteilsbegründung setzt sich dezidiert mit den gutachterlichen Feststellungen und dem Stand der Wissenschaft auseinander“.
Daher ist die Schlussfolgerung
„An einer konkreten Benennung für die Kenntniserlangung des Klägers notwendiger Umstände hinsichtlich eines fehlerhaften Gutachtens kann hiernach zwar grundsätzlich kein Zweifel bestehen. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass diese nicht durch ein fachwissenschaftliches Gutachten erarbeitet worden sind, sondern durch das Gericht selbst“.
nicht nachvollziehbar.
Am Rande:
Das Saarländische Oberlandesgericht (Az.: 1 U 32/08-9) zur Frage eines aussagepsychologischen Gutachtens im Zivilverfahren?
Aussagepsychologische Gutachten (Glaubhaftigkeitsgutachten) werden in der derzeitigen Gerichtspraxis insbesondere in Strafverfahren eingeholt. Die Frage, ob ein solches Gutachten im Strafverfahren eingeholt werden muss, ist allerdings stets eine Frage des Einzelfalls, denn grundsätzlich gilt wie im Zivilprozess auch im Strafprozess, dass sich das Gericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage nicht sachverständiger Hilfe bedienen muss. Dies gilt auch für die Aussagen eines kindlichen oder jugendlichen Zeugen, der Opfer an ihm begangener Sexualdelikte geworden ist (BGH, Urteil vom 27.1.2005 - 3 StR 431/04 und BGH, Beschluss vom 22.6.2000 - 5 StR 209/00). Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens wird von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs allerdings dann als geboten gesehen, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.: BGH, Beschluss vom 25. 4. 2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.6.2000 - 5 StR 209/00).
Ein solcher Fall lag hier aufgrund der klärungsbedürftigen Auffälligkeiten des Opfers vor.
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen derartige aussagepsychologische Gutachten auch im Zivilverfahren einzuholen sind, ist bislang höchstrichterlich nicht nachhaltig geklärt. Nach der Auffassung des Saarländischen Oberlandesgerichts (Urteil vom 13.07.2011 (Az.: 1 U 32/08-9)) ließe sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.6.2003 – VI ZR 327/02 – im Umkehrschluss - ableiten, dass die Einholung eines solchen Glaubhaftigkeitsgutachtens auch im Zivilverfahren grundsätzlich statthaft sei und die Zurückweisung eines derartigen Beweisantrages unter denselben Prämissen stehe, wie im Strafverfahren, d.h. im Einzelfall die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens auch im Zivilverfahren geboten sei.
Dem ist zuzustimmen.
In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs VI ZR 327/02 ging es um die Ungeeignetheit einer polygraphischen Untersuchung mittels Kontrollfragentests (Lügendetektor), die der BGH verneint hat. Aber auch der Beweisantritt mit dem Antrag auf Einholung eines psychophysiologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens hält der BGH für einen unzulässigen Ausforschungsbeweis und führt aus, dass ein solches dann nicht eingeholt werden muss, wenn die Behauptungen des Prozessgegners nur bestritten werden und daher keine auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben des Bestreitenden vorliegen, die auf ihre inhaltliche Konsistenz, ihre Folgerichtigkeit oder sonstige situationsbezogene Einzigartigkeit hin überprüft werden könnten („ins Blaue hinein“). Für die Beurteilung der Eignung eines Beweismittels im Zivilprozess müssen die gleichen Anforderungen gestellt werden wie im Strafprozess und darf daher auch im Zivilverfahren der Tatrichter einen Beweisantritt in Anlehnung an § 244 Abs. 3 StPO ablehnen, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist.
Die Klägerin hat im Zivilverfahren ganz konkrete Angaben zu den Tatvorwürfen gegenüber dem Beklagten gemacht, die einer aussagepsychologischen Begutachtung zugänglich sind. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen für die Beweisführung im Strafprozess als geeignet angesehen wird, gilt dies grundsätzlich auch für den Zivilprozess. Die Einholung aussagepsychologischer Gutachten im Strafverfahren ist ein grundsätzlich anerkanntes Beweismittel, so dass die Einholung eines solchen Gutachtens grundsätzlich auch in einem vom Sachverhalt her gleichgelagerten Zivilverfahren statthaft ist und ein entsprechender Beweisantrag nicht schlechterdings mit dem Argument abgelehnt werden kann, die Würdigung der Aussage einer Partei oder eines Zeugen obliege nur dem Gericht.