Ärztliche Schweigepflicht: Wann darf der der Arzt die Tatsachen, die ihm im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, weitergeben?
Die ärztliche Schweigepflicht ist traditionell Bestandteil des ärztlichen Berufsrechts und ist im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Patienten verankert. Ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht ist nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich sanktioniert. Außerdem kann er zu einem eigenständigen Schadensersatzanspruch führen.
Unproblematisch ist der Fall, wenn eine Einwilligung des Patienten hierzu vorliegt. Folgende Fälle sind aber nicht unproblematisch:
- Patient macht Schadensersatzansprüche geltend:
Die Weitergabe der Informationen an den Arzthaftpflichtversicherer bedarf der Einwilligung des Patienten. Diese Einwilligung kann durch die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche nicht automatisch unterstellt werden. Die Praxis der Arzthaftpflichtversicherer, direkt eine solche Einwilligung einzuholen ist daher nicht korrekt. Richtigerweise muss der Arzt den Patienten auffordern, eine Einwilligung zur Weitergabe der Informationen an den Arzthaftpflichtversicherer zu erteilen, bevor er diesem die Tatsachen zur Behandlung offenbart. Seiner unverzüglichen Mitteilungspflicht gegenüber dem Arzthaftpflichtversicherer kommt er erst nach Erteilung der Einwilligung nach. Üblicherweise erteilt der Patient diese Erklärung, da er ein eigenes Interesse an der Sachverhaltsaufklärung und Schadenregulierung hat. Denkbar ist, dass der Patient die Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung verweigert und dennoch eine Schadensersatzklage erhebt oder Strafanzeige stellt. Zur Wahrung eigener berechtigter Interessen ist der Arzt nach den Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung aber zur Weitergabe von vertraulichen Patienteninformationen berechtigt, sofern die Offenbarung ein angemessenes Verteidigungsmittel darstellt. Das gilt insbesondere im Strafprozess, aber auch bei Zivilklagen.
Die evtl. Einschränkung einer Schweigepflichtentbindungserklärung, insoweit, dass der Arzt nur unter der Bedingung von der Schweigepflicht entbunden wird, dass die eingeholten Stellungnahmen in Kopie dem Anspruchsteller zur Verfügung gestellt werden, ist abzulehnen. Denn eine ungestörte Zusammenarbeit zwischen Versicherer bzw. Prozessbevollmächtigtem und Arzt ist unter Beachtung dieser Bedingung nicht möglich. In diesem Fall ist der Versicherer gehalten, eine unbedingte Entbindungserklärung zu erhalten. Will der Patient sie nicht erteilen, greift das Recht des Arztes ein, zur Wahrung eigener berechtigter Interessen die vertraulichen Patienteninformationen weitergeben zu dürfen.
- Rechtsanwalt des Patienten verlangt Patientenakte:
Ohne eine Schweigepflichtentbindungserklärung können dem Rechtsanwalt des Patienten auch nicht die Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden. In der Erteilung einer Prozessvollmacht zwecks Herausgabe von Patientenunterlagen liegt noch keine Schweigepflichtsentbindungserklärung.
- Gericht ordnet die Vorlage der Patientenakte an:
Nach § 142 I ZPO (Anordnung der Urkundenvorlegung) kann das Gericht anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen sowie anordnen, dass die vorgelegten Unterlagen während einer von ihm zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben.
Demnach kann das Gericht gegenüber einem – auch im Rechtsstreit nicht beteiligten – Arzt bzw. Krankenhaus die Herausgabe der Patientenakte aufgeben. Aber auch hier ist eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten erforderlich.
- Ist ein Arzt vor Gericht zur Aussage verpflichtet, falls er von seinem Patienten von der Schweigepflicht entbunden ist?
Ja. Wurde der Arzt, der vor Gericht als (sachverständiger) Zeuge aussagen soll, vom Patienten von der Schweigepflicht entbunden, so kann er sich nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
- Muss der Patient seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden?
Nein. Das hat aber Konsequenzen. Denn die Weigerung einer Partei, einen Zeugen von der Schweigepflicht zu entbinden, kann nach erfolgloser Belehrung und Fristsetzung (§ 356 ZPO) als Beweisvereitelung angesehen werden, falls die Gegenseite nur mit der Zeugenaussage einen Beweis erbringen kann, Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.1997, 5 AZR 747/93.
Das LAG Düsseldorf • Urteil vom 19. Dezember 2012 • Az. 7 Sa 603/12 hat zu Lasten des Klägers als Beweisvereitelung angesehen den Umstand, dass der Kläger zwar eine Schweigepflichtentbindungserklärung erteilt, jedoch mit Bedingung, die Gegenseite von der Beweisaufnahme auszuschließen.