Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 01.02.2012, AZ.:5 W 63/12

Weitergabe der Information über die Erkrankung der Angehörigen/ nahestehenden Personen ohne Einwilligung des Patienten war bereits Gegenstand vieler Entscheidungen.

Das Oberlandesgericht Koblenz hatte aber einen umgekehrten Fall zu entscheiden: mit Einwilligung des Patienten gab der Arzt die Information an dessen Ex-Frau weiter; Folge: Die Ex-Frau verklagte den Arzt auf Schadensersatz, Urteil vom 01.02.2012, AZ.:5 W 63/12

Das OLG Koblenz hat einen außerordentlichen Fall im Rahmen einer Prozesskostenhilfebeschwerde zu entscheiden.  Ein mehrfacher Familienvater und geschiedener Ehemann erkrankte an einer unheilbaren Nervenkrankheit mit hohem Vererbungsrisiko (Chorea Huntington). Er bat seinen behandelnden Arzt, der als Oberarzt der Fachabteilung für Psychiatrie und Psychotherapie in einer Klinik tätig war, darum, die Mutter über die mögliche Erbkrankheit ihrer Kinder zu informieren. Der Arzt informierte die Mutter, die daraufhin eine psychische Störung erlitten hat und seit dem Arztgespräch wegen reaktiver Depression dauerhaft krankgeschrieben und nicht in der Lage ist, einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen. Mit der Klage begehrt die Kindesmutter die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 15.000 € sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung des Arztes hinsichtlich der ihr entstandenen materiellen und immateriellen Schäden.  Es stand dabei fest, dass die Information keinerlei Nutzen für die Mutter bzw. für die zum damaligen Zeitpunkt 12 und 16 Jahre alten  Kinder hat, denn der Krankheitsverlauf hätte man nicht beeinflussen können. Auch eine Untersuchung der minderjährigen Kinder in Deutschland ist aufgrund der Gesetzeslage nicht zulässig.

Das Landgericht Bad Kreuznach lehnte den Prozesskostenhilfeantrag der Mutter ab. Zwar käme ein Anspruch aus § 823 I BGB in Betracht. Der Arzt sei aber zur Aufklärung verpflichtet. Das OLG Koblenz hob die Entscheidung auf, bewilligte der Klägerin die Prozesskostenhilfe und verwies die Sache an das Landgericht zurück.

Kommentar:

Bei der Entscheidung über die Preisgabe der Informationen an die Angehörigen eines Patienten hat der Arzt nicht nur die Einwilligung seines Patienten einzuholen, sondern darauf zu achten, welche Auswirkungen die Information haben kann. Denn nach ständiger Rechtsprechung können zwar psychischen Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen, BGHUrteil vom 22. Mai 2007, Az. VI ZR 17/06. Die Entscheidung des OLG geht jedoch zu weit. Eine Schadensersatzpflicht besteht nach ständiger Rechtsprechung nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (BGH, Urteil vom 11.06.2010, AZ.: V ZR 85/09; vom 11.01.2005, AZ.. X ZR 163/02). Hier kommen zum einen die Schweigepflicht des Arztes und zum anderen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin in Frage. Die Schweigepflicht des Arztes bezweckt jedenfalls nicht den Schutz eines Dritten, sondern des Patienten selbst. In dem Fall war aber der Kindesvater mit der Weitergabe der Information an die Klägerin einverstanden. Daher bleibt es zu klären, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin in irgendeiner Weise durch die Mitteilung des Arztes tangiert ist. Das wäre der Fall, wenn der Klägerin ein „Recht auf Nichtwissen“  über die evtl. Erbkrankheit ihrer Kinder gestanden hätte. Dieses Recht steht aber nur den Betroffenen, somit nur den Kindern zu. Nach § 8 I 2 Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) umfasst die Einwilligung in eine genetische Untersuchung oder Analyse auch die Entscheidung, ob und inwieweit das Untersuchungsergebnis zur Kenntnis zu geben oder zu vernichten ist. Ist keiner der Rechte der Klägerin tangiert, steht ihr auch kein Schadensersatzanspruch zu.  Vielmehr handelt es sich um allgemeines Lebensrisiko, welches hinzunehmen ist. Auch das Argument, dass die Untersuchung der Kinder in Deutschland nicht möglich ist und die darauf folgende Schlussfolgerung des Gerichts, dass die Information für die Klägerin nutzlos sei, kann nicht durchgreifen. Denn immerhin ist es nicht ausgeschlossen, dass eine genetische Untersuchung im Ausland möglich sein kann. Und was ist, wenn diese Erkrankung im Ausland heilbar wäre???